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Intervallfasten – Mit der Uhr essen

Ernährung beschäftigt unsere Kultur bereits seit Jahren. Traumkörper, Blitzdiäten, Dickmacher – diese Schlagworte fallen mehrmals täglich, ob im persönlichen Gespräch, in Zeitschriften, Fachartikeln oder im Restaurant. Bereits in der Schule werden wir in die Hohe Kunst der Lebensmittelpyramide eingeführt und wissen alle, dass 5 Portionen Obst und Gemüse uns gut tun. Doch jeden Tag kommen neue Erkenntnisse, vermeintliche Lösungen oder gesunde Lebensstile zur bereits jetzt enorm grossen Informationsflut hinzu. In dieser mehrteiligen Reportage möchte ich unter anderem über Intervallfasten, ketogene Ernährung und Zuckerfreiheit berichten. Was bedeuten diese Begriffe? Welche Lehren können wir daraus ziehen? Und – wer hat denn jetzt Recht?

Ist schon wieder Aschermittwoch oder warum steht im Titel fasten? Nein, heute geht es nicht um die Fastenzeit zwischen Ostern und Fasnacht. Das tägliche Fasten steht heute im Mittelpunkt. Beginnen wir also ganz vorne. 

Was ist eigentlich fasten? 

Allgemein bekannt ist dies als der bewusste Verzicht auf gewisse Genussmittel beziehungsweise Speisen oder Getränke. Unsere Nachbarn in Deutschland versuchten sich 2020 am häufigsten beim Fasten von Süssigkeiten, Alkohol, Fleisch, Rauchen und Fernsehen. Ebenfalls auf dieser Liste taucht das Fasten von Smartphones, Autos oder Spielkonsolen auf. Die Möglichkeiten sind also unbegrenzt – jeder kann fasten, was und wie er will. Wir nehmen heute das Intervallfasten genauer unter die Lupe.

Statistik Fastenarten

Inter… was?

Intervall-, intermittierendes oder Kurzzeit-Fasten – auch unter anderem Namen ist alles dasselbe: Die Beschränkung des Zeitraumes der Nahrungsaufnahme. Wer sich einmal darüber erkundigt, wird schnell fündig. 1’220’000 Ergebnisse spuckt Google für den Begriff «Intervallfasten» aus. Für den englischen Begriff «Intermittent Fasting» gibts sogar satte 50’200’000 Hits. Intervallfasten ist längst kein Underdog der Ernährungsformen mehr, sondern ein Trend und neuer Best Friend. (Obwohl der Trend momentan wieder eher in den Hintergrund gerückt ist). Die Beliebtheit ist kein Wunder: Die Diätform hört sich (mal wieder) verlockend einfach an.

Das Prinzip ist in der Theorie nämlich wirklich einfach: Man verzichtet für eine gewisse Zeit des Tages gänzlich auf sämtliche Lebensmittel (mit Ausnahme von Wasser und ungesüsstem Tee). In der restlichen Zeit isst man ‘wie üblich’ – also ohne Einschränkungen.

Die beiden bekanntesten Formen des Intervallfastens sind die 16:8 und 5:2 Methode.

Bei der 16:8 Methode fastet man für 16 Stunden und isst in den restlichen acht Stunden. Das heisst, die meisten Fastenden lassen Frühstück oder Nachtessen ausfallen. In welchen acht Stunden man fastet, ist individuell anpassbar – es müssen aber jeden Tag die gleichen sein! Beispielsweise könnte ich von 9 – 17 Uhr essen, jemand anderes aber eher von 12 – 20 Uhr. Der Vorteil dieser individuellen Anpassung? Jeder kann seinem eigenen Rhythmus und seinen eigenen Essvorlieben folgen.

Die 5:2 Methode hingegen beschränkt sich auf ganze Tage. An 5 Tagen wird normal gegessen, an zwei Tagen wird gefastet.

Wer profitiert von dieser Ernährungsform?

Betroffene von Diabetes oder weiteren Stoffwechselstörungen können durch Intervallfasten eine Linderung der Symptome erfahren.  Ausserdem gibt es (einige wenige) Studien, die positive Effekte für Krebsbetroffene zeigen. Bei Mäusen zeigte sich ein gebremstes Tumorwachstum. Solch signifikante Effekte wurden bei Menschen bisher nicht entdeckt. Jedoch litten fastende Frauen mit Brust- oder Eierstockkrebs nach der Chemotherapie weniger an Fatigue und hatten eine bessere Lebensqualität.   

Der Grossteil der Bevölkerung findet sich in diesen Gruppen jedoch nicht wieder. Und trotzdem ist Intervallfasten ein Trend. Warum?

Die Antwort ist sonnenklar: Die Jagd nach der vermeintlichen Traumfigur. Intervallfasten gilt als die todsichere Abnehm-Methode. Aber – ist Intervallfasten wirklich so effektiv?

Ein Blick in die Forschung

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Ein Blick in die Forschung zeigt: Ein positiver Effekt könnte beim Intervallfasten durchaus vorhanden sein. Ja – hier ist er schon, der Haken. Könnte

Forschungen und Studien zu Intervallfasten gibt es zu Hauf. Aber leider nicht an Menschen. Die Humanforschung in diesem Bereich ist weder dicht noch umfassend. Forschende vermeiden es, klare und absolute Antworten auf die Frage nach dem Abnehmeffekt zu geben. Zu dünn ist die Datenlage, zu klein sind die Stichproben. Wer hingegen seine Ratte oder andere Tiere auf Intervall-Diät setzen möchte, ist bestens bedient. Das Problem ist nur: Intervallfasten bei Tieren scheint besser zu funktionieren als bei Menschen. Die Tiere erzielen rundum bessere Ergebnisse in Sachen Gewichtsverlust. Heisst das, dass Intervallfasten nicht fürs Abnehmen funktioniert?

Uhr und Pflanze

Uhr gegen Kilos

Wir halten fest: Ja, Intervallfasten kann funktionieren. Es führt zu Gewichtsreduktion, Insulinspiegel und Blutdruck sinken. Aber: Muss man dafür wirklich Intervallfasten? Tja, jetzt kommt’s: Nein. Intervallfasten zeigt über mehrere Studien hinweg keine positiveren Ergebnisse als eine gewöhnliche Kalorienreduktion (sprich: Diät). Der Gewichtsverlust am Anfang des Intervallfastens ist stärker ausgeprägt als bei einer herkömmlichen Diät. Diese Effekte sind aber weder signifikant, noch zeitlich stabil. Was bedeutet dies für Abnehmwillige? Wenn diese Methode für dich stimmt, dann mach es! Oder, in den Worten von Dr. Tilman Kühn: „[…] zeigt, dass das Intervallfasten nicht schlechter ist als eine herkömmliche Reduktionsdiät und für manche Menschen, denen eine zeitweise Kalorienreduktion leichter fällt, eine Alternative darstellen könnte.“  Bei der Wahl der Abnehm-Methode ist besonders die Adhärenz wichtig. Sprich: Hält man die gewählte Methode denn auch wirklich ein? Denn egal, ob mit oder ohne Uhr: Mit Kaloriendefiziten kann man abnehmen. Aber wenn man sich nicht an die Regel hält, gibt es auch keine Effekte. Zudem ersetzt auch Intervallfasten keine ausgewogene Ernährung – und es führt auch nicht  zwangsläufig zu einem gesünderem Lebensstil. Der eigene Anteil fällt auch hier leider nicht weg. (Und macht die vermeintlich einfache Methode genauso schwer wie alle anderen Diäten).

Vor- und Nachteile

Wir wollen jetzt wieder etwas weg vom Abnehmgedanken kommen. Es gibt auch weitere Gründe für oder gegen die Intervallmethode. 

Durch Einhaltung der Intervalle wird die Kalorienzufuhr gesenkt und kann dadurch helfen, Gewicht zu reduzieren.

Besonders wer seine Fastenzeit auf den Morgen verlegt, profitiert von einem nüchternen Magen zur Bettgehzeit. Dies kann die Schlafqualität fördern.

Eine Ernährung, die festen Zeiten folgt, bietet eine Tagesstruktur. Einigen Menschen fällt die Ernährung so einfacher. Nicht nur, wenn es um Kaloriendefizite geht. Intervallfasten kann helfen, das Hungergefühl besser kennenzulernen oder nächtliche Naschereien zu verhindern.

Intervallfasten hat bisher keine empirisch belegten negativen Effekte. Warum soll man es also nicht tun?

Wer denkt, er kann während der erlaubten Zeit einfach normal weiteressen, der muss leider damit rechnen, dass die (eventuelle) gewünschte Gewichtsabnahme nicht erfolgen wird. Denn die alte Formel zur Abnahme gilt auch beim Intervallfasten noch.

Intervallfasten geht mit einer Restriktion einher. Während dies einigen Menschen die nötige Struktur bieten kann, ist ein Nahrungsverbot für andere der Weg zu einem gestörten Essverhalten. Hier ist es ratsam, sich Hilfe und Rat bei einer Fachperson zu suchen.

Vereinzelt gibt es Menschen, die bei dieser Fastenmethode sogar zunehmen. Warum? Oft liegt es daran, dass in der kurzen Esszeit mehr gegessen wird als üblich.

Intervallfasten hat für den Ottonormalbürger verglichen mit anderen Ernährungsformen keine signifikant bessere positive Effekte. Warum soll man es also tun?

Methodenwahl

Wer sich jetzt für Intervallfasten entscheidet, steht nur noch vor der letzten Frage: Welche Methode darfs sein? Grob gesagt wird die Methode 5:2 eher nicht empfohlen, da die beiden Fastentage mit weniger Energie bestritten werden müssen. Für Arbeitnehmende ist dies ungeeignet, weil man werktags Energie für die Arbeit braucht und am Wochenende noch genügend Energie für Freizeitaktivitäten haben möchte. Zudem treten einige positive Effekte des Fastens bei dieser Form nicht in Kraft. Die beliebte 16:8 Methoden ist für die meisten Menschen machbar und deshalb auch am weitesten verbreitet. Die besten Effekte wiederum erzielt die 18:6 Methode. Für Einsteiger*innen hingegen eignet sich eine mildere Form, z. B.14:10. Wer sich ans Intervallfasten wagt, muss für sich selbst entscheiden, welche Form am besten zum Lebensalltag passt. 

Mein Fazit

Intervallfasten wäre nichts für mich. Ich esse gerne dann, wenn ich Hunger habe und passe meine Portionen an dieses Hungergefühl an. Wahrscheinlich hätte ich Mühe, Methoden wie Intervallfasten meinem ständig ändernden Lebensalltag anzupassen. Die Arbeits- beziehungsweise Lernzeiten an Arbeitstagen und Studientagen sind unterschiedlich. Dementsprechend verschieben sich teilweise die Essenszeiten und Portionengrössen je nach Tagesanforderung. 

Trotzdem glaube ich, dass Intervallfasten eine Daseinsberechtigung hat. Wer sich dafür entscheidet, kann sicher davon profitieren. 

Als ultimative Diätmethode ist Intervallfasten ja schon früh im Artikel ausgeschieden. Die gibt es nämlich niemals. Und es ist erschreckend, wie ständig neue Abnehmtrends unsere Gesellschaft beherrschen. Wenn je eine Methode so unglaublich nützlich gewesen werden, wie uns vorgegaukelt wird, bräuchten wir nicht ständig neue ‘Methoden’. 

Also: Esst was ihr wollt und wann ihr wollt. 

Quellen:

Ärzteblatt, D. Ä. G., Redaktion Deutsches. (2017, Mai 2). Adipositas: Intervallfasten in klinischer Studie ohne Vorteile. Deutsches Ärzteblatt. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/74460/Adipositas-Intervallfasten-in-klinischer-Studie-ohne-Vorteile
Ärzteblatt, D. Ä. G., Redaktion Deutsches. (2018, November 26). Intervallfasten kann Gewichtsabnahme erleichtern, verbessert aber… Deutsches Ärzteblatt. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/99412/Intervallfasten-kann-Gewichtsabnahme-erleichtern-verbessert-aber-nicht-den-Stoffwechsel
Ärzteblatt, D. Ä. G., Redaktion Deutsches. (2019, Februar 1). Intervallfasten: Essen mit Blick auf die Uhr. Deutsches Ärzteblatt. https://www.aerzteblatt.de/archiv/205110/Intervallfasten-Essen-mit-Blick-auf-die-Uhr
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