
Gender Pricing – Was ist die Pink Tax und warum sind auch Männer betroffen?
Ein Gang durch die Kosmetikabteilung wird schnell zu einer teuren Angelegenheit. Besonders, wenn man Produkte kauft, welche ‘für Frauen’ designt werden. Obwohl bei vielen Produkten kein funktioneller Unterschied vorhanden ist, zahlt man für Frauen-Produkte schnell viel mehr. Ein Blick in die Welt der Pink Tax.
Wieder einmal verwenden wir englische Begriffe für ein Phänomen, welches durchaus nicht nur in englischsprachigen Gebieten auftritt. Das Gender Pricing (dt. ~ geschlechtsabhängige Preissetzung) bezeichnet die Preisdifferenzen, welche Männer und Frauen für ein inhaltlich und/oder funktionell (beinahe) identisches Produkt bezahlen. Die Produkte unterscheiden sich oft nur in ihrem Design, ihrer Farbe oder ihrem Namen. Produkte, welche vor allem auf weibliche Kundschaft abzielen, kosten dabei oftmals mehr. Der Preisaufschlag, den man für Frauenprodukte bezahlt, wird als Pink Tax betitelt. Im Artikel werden einfachheitshalber die Begriffe Frauen- bzw. Männerprodukte verwendet, als Anlehnung an die Zielkundschaft.
Wo kommt Gender Pricing vor?
Besonders verbreitet ist Gender Pricing in der Kosmetikabteilung. In Studien oder Artikeln werden überdurchschnittlich oft Produkte aus der Rasierabteilung unter die Lupe genommen. Und es ist durchaus ein Unterschied zu beobachten. Ein Beispiel von mueller.ch anhand von Rasierern der Marke Gillette.


Wo ist der Unterschied? Ein Produkt ist pink. Das andere ist blau-schwarz. Eines heisst sensitive und hat eine etwas rundere Klingenhülle. Das andere heisst Smooth und ist eckiger.
Was haben sie gemeinsam? Beide haben 3 Klingen, beide haben einen Feuchtigkeitsstreifen. Der angepriesene Soft-Grip bei den pinken Produkten gibt es auch bei den schwarz-blauen. Die Inhaltsstoffe sind bis auf eine kleine Abweichung identisch.
Der grösste Unterschied? Der Preis! Bei der Frauenausgabe bezahlt man CHF 2.65 pro Stück, bei den Männern nur CHF 1.44 – dieser Preis ist aber auf 4 Klingen berechnet, da ‘zwei gratis’ sind. Wenn man also die Marketingstrategie entschlüsselt, kommt man sogar auf nur CHF 0.96 pro. Rechtfertigen diese kleinen Unterschiede wirklich den Preisunterschied von CHF 1.69? Der Preisaufschlag von rund 180% geht hier definitiv als sehr grosse Pink Tax zu Buche.
Im Laden nicht weit von der Körperpflege weg stehen Parfums. Die Körperdüfte zeigen ebenfalls starke Differenzen zwischen den Frauen- und Männerprodukten auf. Gleiche Produktlinien kosten auch hier unterschiedlich viel für Männlein und Weiblein:


Zumindest kann man sich hier vertrösten, das zumindest wirklich andere Rezepturen verwendet werden. Aber sind Frauenparfüms wirklich so viel aufwendiger, dass sie rund 21% mehr kosten? Das kann ich doch kaum glauben…


Spannend ist auch: Bei Männern gibt es kaum/keine 30 ml-Parfüms. Bei Frauen ist dies die Default-Wahl. Vielleicht sollen die unterschiedlichen Menschen von grossen Preisdifferenzen ablenken? Vielleicht haben wir aber auch nur ein unterschiedliches Konsumverhalten und damit andere Bedürfnisse…
Du hast die Haare schön
Vorweg: Bitte för de Ohrwurm ;-D. Wir machen auch gleich weiter mit den Haaren. Nämlich mit dem Thema “Coiffeurbesuch”. Auf den ersten Blick denkt man: Klar zahlen Frauen mehr, sie haben ja auch längere Haare! Tja… und was ist mit Frauen mit kurzen Haaren? Und Männern mit langen Haaren?
Die ersten Suchresultate der Googlesuche «Preisliste Coiffeur» spucken interessante Tabellen aus.

Eine Frau mit kurzen Haaren zahlt also immer mehr als ein Mann mit langen Haaren. Da löst sich die ursprüngliche Begründung in Luft auf! Auch das Argument: «Ein Maschinenhaarschnitt macht den Preis für Männer günstiger» ist löchrig – bei oben genannten Anbietern sind diese teilweise nicht einmal als eigene Kategorie gelistet!
Eine angenehme Überraschung bot einzig der Anbieter Cut and Color:

So sollte es doch sein, oder nicht?
(Oder gleichen Friseure mit den abweichenden Preisen einfach die Pink Tax vom Einkauf ihrer Shampoos aus? :-D)
Diskrimination oder Befriedigung von Angebot-Nachfrage?
Je nachdem, wo man anklopft, erhält man verschiedene Begründungen für die Pink Tax. Einige Experten sehen darin eine Diskrimination, andere begründen die Preise mit anderen Einkaufsgewohnheiten. Die Zahlungsbereitschaft von Frauen bei Kosmetikprodukten sei höher. Geschlechtsvorlieben bestimmen den Absatz von Kosmetik: Kauft man das Produkt in ‘stimmigen Pasteltönen’ oder doch eher im Design eines ‘technischen Gadgets mit viel Schwarz’.
Die Anpassung an dieses Konsumentenbedürfnis in Ehren – aber rechtfertigt unterschiedliches Design die Preisdifferenzen? Ist es so viel einfacher und schneller, ein ‘technisches Gadget’ zu designen, als ein Produkt in ‘stimmigen Pasteltönen’?
Und woher kommen unterschiedliche Einkaufgewohnheiten und die höhere Zahlungsbereitschaft? Frauen lernen bereits im Kindesalter, dass ihr ‘Ziel’ sein soll, dünn, hübsch, begehrenswert, … zu sein. Jungs sollen hart, dominant, muskulös, … sein. Diese Indoktrien (die einen ganzen Blog zu füllen vermochten) werden schamlos ins Erwachsenenalter weitergezogen. Wird man also als Verbraucher*in ausgenutzt?
Drogerien widersprechen: Frauen und Männer hätten eben unterschiedliche Haut und brauchen deshalb auch andere Pflegeprodukte. Das ist sicherlich richtig. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die anderen Inhaltsprodukte auch den sichtbaren Preisunterschied rechtfertigen?
Eine Identifikation von Preisunterschieden ist oft noch erschwert, da Männer- und Frauenprodukte sich oft in verschiedenen Abteilungen oder Sektoren befinden. Der Quervergleich ist somit mit Aufwand verbunden, dem unser Hirn aus dem Weg geht.
Preisunterschiede belasten meistens Frauen
Ich höre schon einen Hater auf Instagram einen Kommentar schreiben: «Aber wir Männer …». Ja liebe Männer, tolle Neuigkeiten, auch ihr zahlt manchmal mehr! Die Antidiskriminierungsstelle des deutschen Bundes hat 2017 einen umfassenden Marktcheck durchgeführt. Dieser untersuchte nicht nur Produkte, sondern auch Dienstleistungen.
Bei den Dienstleistungen zeigt sich ein klares Bild: Männer bezahlen zum Beispiel mehr bei Datingportalen, in Clubs und beim Waxing. Bei 9% aller Dienstleistungen zahlen Männer mehr als Frauen. (Herzlichen Glückwunsch.) Aber? Frauen zahlen in rund 50% aller Fälle mehr!
Bei Friseurdienstleistungen legen Frauen durchschnittlich 48,9% mehr Geld auf den Tisch als Männer (Kurzhaar)! Auch bei der Reinigung wirds deutlich: Rund 93% mehr verlangt man von Frauen für die Reinigung einer ‘Bluse’ als man für das ‘Hemd’ eines Mannes verlangt.
(Aber spannend übrigens: Die Verbraucherzentrale Hamburg kommt zu anderen Prozentangaben.)
Na, und … – jetzt?
Das Preisunterschiede existieren steht nicht zur Debatte. Auch wenn eine Schweizer Studie analog jener des deutschen Bundes fehlt, gehen Expert*innen davon aus, dass die Preisgestaltung relativ ähnlich ausfällt. Einige bekannte Beispiele: Früher zahlten Frauen mehr für die Krankenversicherung, heute wurde dies verboten. Bei der Autoversicherung zahlen Frauen aber heute teilweise noch weniger als Männer, ‘weil sie weniger Unfälle verursachen’.
All diese Informationen sind schwierig einzuordnen.
Ist man selbst Schuld, wenn man das ‘hübschere’ bzw. das ‘technischere’ Produkt kauft? Darf ein ein Hersteller, ein Händler oder ein Verkäufer die gesamte Thematik auf die Endkonsument*innen abwälzen? «Wenn niemand mehr diese Produkte kauft, gibt es die Preisunterschiede nicht mehr!» Wie handhabt man unterschiedliche Preise bei Dienstleistungen, bei denen man einen Kauf nicht beeinflussen kann?
Wo fängt die Verantwortung der Gesellschaft an, bereits bei der Erziehung Geschlechtsnormen zu minimieren oder ganz zu entfernen? Wo müssen Verbraucher*innen ihre Kaufverhalten anpassen, wo müssen Hersteller/Händler/Verkäufer* ihre Verantwortung wahrnehmen?
Die Preisdifferenzierung nach Geschlechtern wird uns (leider) sicher noch eine Weile begleiten. Wem die Thematik wichtig ist, der kann jedoch anfangen, sich für verschiedene Preise zu sensibilisieren und Alternativen zu suchen.
Ein Fazit, welche Lösung nun richtig und welche falsch ist, ist im Gender Pricing jedoch schwer zu erzielen.
Quellen:
mueller.ch
impo.ch
coiffeur-swisshair.ch/oftringen
gidor.ch
cutandcolor.ch
orinad.ch
https://www.zeit.de/hamburg/2019-02/gender-pricing-geschlechter-preise-produkte-diskriminierung
https://womeninbusiness.ch/die-pink-tax-ist-real/
https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/gender-pricing-warum-kosmetikprodukte-fuer-frauen-teurer-sind/25357616.html
https://www.kalaidos-fh.ch/de-CH/Blog/Posts/Archiv/wp-1034-Gender-Pricing
https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/Expertisen/expertise_preisdifferenzierung_nach_geschlecht.pdf?__blob=publicationFile&v=3


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