
Positive Psychologie in der Arbeitswelt – 4+2 Methoden
Die Digitalisierung verändert unsere Arbeitswelt. Covid19 hat diese Entwicklung durch Homeoffice-Pflicht und Onlinemeetings noch einmal beschleunigt. Die Arbeitswelt 4.0 ist auf dem Vormarsch. Die neuen Anforderungen erfordern auch neue Arbeits- und Führungsweisen. Ein Ansatz ist die Positive Psychologie.
Positive Psychologie hört sich ein wenig esoterisch an, sie ist aber eine solide Wissenschaft. Sie beschäftigt sich sich mit den Faktoren, welche eine optimale Entwicklung von Individuen, Gruppen oder Organisationen ermöglichen. Die Disziplin ist nicht so jung, wie sie wirken mag: Bereits Aristoteles bewegte sich im Feld der Positiven Psychologie. Geprägt haben den Begriff aber Martin Seligman und Mihaly Csikszentmihalyi. Seligman sprach erstmals 1998 in seiner Antrittsrede als Präsident der American Psychological Association (APA) von der «Positiven Psychologie». Doch warum entstand dieses Teilgebiet?
Bereits Abraham Maslow kritisierte 1954 die psychologischen Wissenschaftler*innen, dass sich die Psychologie zu sehr auf negative Aspekte fokussiere und die positiven aussen vor liesse. Seligman und Csikszentmihalyi stimmten Maslow zu. Ihrer Ansicht nach hatte sich die Psychologie zu stark auf die Heilung mentaler Krankheiten beschränkt und engagierte sich zu wenig im Bereich der Talentförderung, der glücklichen und erfolgreichen Lebensführung sowie der individuellen Weiterentwicklung. Seligman gab durch seine Verhaltensweise im Präsidentenamt den Anstoss für unzählige Forschungs- und Recherchearbeiten.

Welche Themen umfasst die Positive Psychologie?
In der Positiven Psychologie stösst man häufig auf Begriffe wie Achtsamkeit, Kreativität, Resilienz, Freude, Optismus, Dankbarkeit und viele mehr. Der grosse Unterschied von der Positiven Psychologie zu den weiteren Bereichen, die sich mit diesen Schlagwörtern beschäftigen, ist ihre empirische Evidenz. Sprich, die Positive Psychologie foscht nach den anerkannten Kriterien und kann deshalb «gültige» Ergebnisse präsentieren. Wie schon erwähnt ist sie eine grundsolide Wissenschaft!
In diesem Artikel befassen wir uns vor allem mit der Positiven Psychologie in der Führung. Der Fokus liegt weniger darauf, wie sich Führungskräfte verhalten solllen und mehr darauf, welche konkreten Möglichkeiten zur Implementierung von Positiver Psychologie bestehen. Jedoch finde ich zwei Zitate zum Verständnis der Positiven Psychologie im Unternehmenskontext unglaublich wichtig:
Das bedeutet, dass es essenziell ist, Mitarbeitende in die Veränderungen miteinzubeziehen. Glücklicherweise ist der Fokus auf die Bedürfnisse und Wünsche der Mitarbeitenden sowieso ein grosser Bestandteil der Positiven Psychologie 😉
Wirkung von Positiver Psychologie
Die Ergebnisse der Positiven Psychologie sprechen für sich! Auch wenn verschiedene Methoden und Anwendungen auch zu unterschiedlichen Forschungsergebnissen führen, deutet die Mehrheit der Forschung auf positive Auswirkungen der Positiven Psychologie hin. (Ich finde also, sie darf ihren Namen behalten!) Je nach gewählter Methode werden Individueen leistungsfähiger, optimistischer, dankbarer, motivierter und overall glücklicher. Es lohnt sich defintiiv, Positive Psychologie im Arbeitsalltag zu integrieren!
Vier Methoden für Teams
Als Führungskraft gibt es verschiedene Möglichkeiten, Positive Psychologie in die Teamführung einzubinden. Aber auch als Mitarbeitende kann man sich diese Ideen schnappen und bei der vorgesetzten Person platzieren. Im folgenden finden sich vier verschiedene Methoden, die sich mal besser, mal mit ein wenig mehr Aufwand ins Arbeitsleben integrieren lassen.

Die Dankstelle
Ich beginne mit meiner liebsten Methode, weil mich das Namenswortspiel sofort gecatcht hat! Die Dankstelle ist sehr simpel, erfordert aber nach meiner subjektiven Einschätzung etwas mehr Überwindung als andere. Die Idee ist, dass eine Dankbarkeits-Tankstelle geschaffen wird. In dieser Dankstelle können Teammitglieder Dinge sammeln, für die sie dankbar sind und stecken diese in die Dankstelle. Die Dankstelle kann dabei vielleicht ein selbstgebastelter Karton, eine Einmach- oder Konfiglas, ein hübsches Böxli oder viele andere Gegenstände sein (be creative!). Falls eine allgemeine Dankstelle geschaffen wird, ist die Schwelle zur Benutzung vielleicht niedriger, jedoch stelle ich es mir auch schwieriger vor, schöne Dinge zu sammeln. Dagegen gibt es auch die Möglichkeit, dass jedes Teammitglied eine eigene Dankstelle erhält und die anderen Mitglieder direkt Dankbarkeit gegenüber diesem Teammitglied ausdrücken können. So kann jedes Teammitglied dann ein bisschen Dank tanken, wenn es sich danach fühlt! Jedoch braucht es vielleicht mehr Überwindung, einem anderen Mitglied etwas direkt in seine persönliche Tankstelle zu füllen. Hier ist für mich die Vorreiterrolle zentral: Die Führungskraft animiert, motiviert und macht selbst auch mit!

Die Storytelling-Meetings
Eine simple Methode, die sich besonders gut für Teams mit intensivem Kundenkontakt eignet. Ganz einfach lässt sich die Idee hinter den Storytelling-Meetings anhand der Daily Line-Ups der Ritz-Carlton-Hotels erklären: In diesen täglichen Zusammenkünften erzählen die Mitarbeitenden von ihren positiven, einzigartigen oder lustigen Erlebnissen mit Gästen. Der Zeitaufwand beträgt nur wenige Minuten, gemäss Ritz-Carlton sind ihre Mitarbeitenden jedoch authenthischer, freundlicher und positiver im Umgang mit ihren Gästen!
Statt täglich kann man sich auch wöchentlich (oder monatlich) zusammenfinden und einander die tollen Geschichten erzählen. Es muss nicht immer die wahnsinnig lebensverändernde Story sein – oft sind es es die kleinen Dinge, die zählen!

Die ACR-Gesprächstechnik
Die ACR-Gesprächstechnik ist keine Methode, die kurzerhand integriert werden kann. Stattdessen handelt es sich um eine grundsätzliche Veränderung der Teamkommunikation. ACR bedeutet active-constructive-responding und heisst so viel wie aktiv-konstruktive Antworten. Auch die deutsche Übersetzung ist noch recht holprig und deshalb besser erklärbar an einem Beispiel. Gemäss Seligman gibt es vier Weisen, wie man auf eine positive Neuigkeit reagieren kann: aktiv-konstruktiv, passiv-konstruktiv, aktiv-zerstörend und passiv-zerstörend.
Hier anhand der Neuigkeit: «Gute Neuigkeiten! Ich bin befördert worden und habe noch eine Gehaltserhöhung bekommen!»
- aktiv zerstörend: «Das hört sich nach viel Verantwortung an, die du dir da aufbürdest. Das bedeutet wahrscheinlich komplexere Arbeit und mit Sicherheit längere Arbeitszeiten.»
- passiv zerstörend: «Was machen wir morgen Abend?»
- passiv konstruktiv: «Das sind ja gute Neuigkeiten.»
- aktiv konstruktiv: «Das ist ja großartig! Ich bin so stolz auf dich. Ich weiß, wie wichtig die Beförderung für dich war. Erzähl mir genau, was passiert ist!»
Ziel ist es, die Teamkommunikation möglichst in die Richtung der ehrlichen aktiv-konstruktiven Antworten zu führen. Dies stellt einen langwierigen Lernprozess dar, führt aber zu wertgeschätzten Mitarbeitenden sowie vielen spannenden, persönlichen Geschichten!

Das Stärken-Date
Diese Methode eignet sich für alle Teamgrössen, ich persönlich sehe ihr grösstes Potenzial jedoch bei grossen Teams. Beim Stärken-Date werden die Mitarbeitenden zufällig in 2er Teams eingeteilt. Diese 2er Teams brainstormen innerhalb eines vorgegebenen Zeiten über folgende Fragen:
- Welche Stärken haben wir beide gemeinsam?
- Wie können wir diese Stärken in unserem Team-/Arbeitsalltag einbauen?
Bei dieser Technik lernen sich die Mitarbeitenden nicht nur besser kennen, sie überlegen sich auch konkret, wie ihre eigene Selbstwirksamkeit im Unternehmenskontext aussehen kann. Natürlich kann der Fragekatalog auch angepasst oder erweitert werden (Vorteile für den eigenen Alltag, wie wirken unsere Stärken bei Projekt xy, wie können wir unsere Stärken im Kontakt mit Kunden einsetzen, usw.).
Zwei Methoden für dich
Leider sind noch nicht alle Mitglieder einer Organisation offen und bereit für die Implementierung von Methoden der Positiven Psychologie. Deshalb findest du im folgenden drei Tipps, wie du Positive Psychologie in deinen persönlichen Alltag einbauen kannst.

Die vier Abendfragen
Eine ganz einfache und schnelle Technik sind die vier Abendfragen. Stelle dir jeden Abend folgende vier Fragen:
- 1. Was hat mir heute Freude bereitet?
- 2. Wo habe ich mich heute lebendig gefühtl?
- 3. Wofür und wem kann ich heute dankbar sein?
- 4. Welche Stärken konnte ich heute ausleben?
Auch hier ist entscheidend, dass es nicht weltbewegende Antworten sein müssen. Antworte frei aus dem Bauch heraus und schreibe auch einmal etwas auf, was in diesem Moment vielleicht komisch auf dich wirkt.
Bei einer Studie gaben die Teilnehmenden an, sich durch die regelmässige Durchführung dieser Methode selbstwirksamer, dankbarer und zufriedener zu fühlen und sich besser über ihre Handlungen bewusst zu sein. Das sind doch tolle Aussichten!

Das beste Selbst
Zugegeben, der Titel hört sich ein wenig arrogant an. Aber Arroganz würde einigen von uns im Arbeitsleben auch gut tun. Es hat aber wenig mit Arroganz zu tun. In vier Schritten soll einer Person dazu verholfen werden zu verstehen, wie sie von anderen zu ihren besten Zeiten wahrgenommen wird und wie sie dieses Wissen nutzen kann, um ihren Job mehr auf ihre Stärken und ihre Leidenschaften auszurichten (Tomoff 2012).
Suche dir fünf bis zehn vertraute Personen (Freundeskreis, Familie, Verwandschaft, Vereinsmitglieder, Arbeitsgspänli, …) und stelle ihnen folgende Frage: «In welcher Situation habe ich mein bestes Selbst gezeigt?» Die befragte Person soll dir wenn möglich drei Beispiele nennen. Es kann sich um Situationen handeln, in denen du etwas auf besonders gute Weise erledigt hast, oder Situationen, in denen du sehr leidenschaftlich und ambitioniert warst. Wenn es dir unangenehm ist, mach den ersten Schritt! Erklär der befragten Person, was du machst und gib gleich ihr drei Beispiele, in welchen Situationen sie/er ihr/sein bestes Selbst war! Wer sich gar nicht getraut, externes Feedback einzuholen, darf auch für sich selbst Beispiele suchen.
Sammle die Beispiele. Du solltest jetzt rund 15 – 30 Situationen haben, in denen du dein bestes Selbst warst. Nimm die Beispiele genau unter die Lupe. In welchen spezifischen Situationen brillierst du? Gibt es bestimmte Personen in deiner Gegenwart, die dich in deinen Aktionen bestärken? Spielt die Zeit/der Zeitpunkt eine Rolle? Haben alle Situationen ähnliche Eigenschaften?
Schreibe dein eigenes Stärkenprofil! Verknüpfe deine analysierten Punkte und schreibe deine Stärken auf. Am besten von Hand, damit du es schwarz auf weiss (oder farbig auf weiss ;-D) vor dir hast!
Überlege dir, wo du deine Stärken zukünftig vermehrt einsetzen kannst. Gibt es besondere Aufgaben in deinem Arbeitsumfeld, für die du durch dein eigenes Stärkenprofil qualifiziert bist? Trau dich ruhig und sprich auch deine vorgesetzte Person auf dein Experiment an. Du formst deine Arbeit und das geht umso besser, je mehr du dir über dich selbst bewusst ist.
Also los – finde dein bestes Selbst und noch wichtiger, lebe es aus!
Fazit und persönliche Gedanken
Vier + zwei Methoden später hoffe ich, dass du dir einen Überblick über die Positive Psychologie im Arbeitskontext verschaffen konntest. Wenn du eine Methode ausprobierst und/oder bereits anwendest, gib mir gerne Bescheid 😉 Ich würde mich riesig freuen, zu hören, wie es funktioniert hat. Ehrlicherweise habe ich selbst noch keine der Methoden ausprobiert. Besonders die Dankstelle finde ich aber sehr schön – und wenn ich so in meiner Karriere zurückdenke, fällt mir definitiv ein Team ein, dass davon profitieren könnte. Aber auch einfache Methoden wie die vier Abendfragen haben viel Potenzial. Wer bisher noch kein (Dankbarkeits-)Tagebuch führt, hat hiermit vielleicht einen Ideenanstoss erhalten. 🙂
Schlussendlich bleibt mir also noch zu sagen: stay positive!


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