Aus dem Leben

Aus dem Leben einer Lektorin

Woran denken Sie beim Wort Lektorin? Eine Person, die weiss, ob man dämlich mit h schreibt oder nicht?* Jemand, der mit Brille und messy Dutt stundenlang in der Bibliothek sitzt und Bücher liest? Einen Menschen, der in einem Verlag sitzt und Bücher von berühmten Autor:innen Korrektur liest? Alles richtig – und doch auch wieder nicht.

*Anmerkung der Autorin: Die Antwort ist stets ja, denn dämlic wäre falsch. Bitte gärngscheh.

Lektorin zu werden war schon früh Sarahs Traumberuf. Bereits in der Sekundarschule hat sie ihrer Lehrerin berichtet, dass genau dies ihr Ziel sei. Die ernüchternde Antwort? Sie müsse Deutsch studieren. Welcher 14-jährige Teenie hört schon gerne, dass man für seinen Traumjob studieren muss? In diesem Alter ist vielen meist alles lieber als noch länger die Schulbank drücken. Also musste für Sarah vorerst ein anderer Beruf her.

Die Berufschancen sehen eher schlecht aus

“Meine Eltern waren nicht so begeistert, als ich schliesslich Polygrafin werden wollte. Vom Traumberuf mit schlechten Aussichten zum Lehrberuf mit schlechten Aussichten”, reflektiert Sarah amüsiert. In der Deutschschweiz gibt es nämlich nur wenige Lehrstellen für Polygrafen. Ein bisschen Glück muss man deshalb definitiv haben. Trotzdem – das KV, welches ihre Eltern ihr als Alternative vorschlugen, kam für Sarah nicht in Frage. Schlussendlich hat es doch geklappt mit der Polygrafen-Lehrstelle. Nach ihrer Grundausbildung kam erneut die Frage auf, wie Sarahs Zukunft denn jetzt aussehen wird.

“Ich blieb wohl ein hoffnungsloser Fall als das Thema Studium schliesslich aufkam, denn ich entschied mich zwischen Kunst und Angewandte Sprachen.” Beides keine Bereiche, in welchen die Jobs nur so aus dem Boden spriessen.

Vom Studium zur Festanstellung

Für Sarah war schliesslich das Studium der Angewandten Sprachen der richtige Weg. Doch wieder spielte auch etwas Glück mit: Ihre Stelle als Lektorin verdankt sie ein bisschen dem Schicksal. “Während dem Studium hatte ich immer wieder Phasen, in denen die Motivation nichts von sich hören liess. Um mich selber aufzumuntern, und das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, googelte ich deswegen oft nach Stellen. Dabei bin ich auf eine Stelle für Studierende im Stundenlohn bei einem Finanzdienstleistenden gestossen – die einzige im Lektoratsbereich.
“Ohne grosse Hoffnung bewarb ich mich – und bekam sie.” Etwas Stolz schwingt in Sarahs Stimme mit. Gerade als Sarah ihr Studium beendet, verlässt eine Teamkollegin das Unternehmen. Sarah kann vom Praktikum zur Festanstellung wechseln und lebt seither ihren Traum als Lektorin.

Abseits der gesellschaftlichen Vorstellung

Lektor:innen sehen sich mit einigen Vorurteilen konfrontiert. Beim genauen Hinsehen bewahrheiten sich sogar einige von ihnen. Andere hingegen sind völliger Quatsch. Die meisten verbinden Lektor:innen mit einem Buchverlag: In ihren Augen lesen, kontrollieren und – surprise – lektorieren Lektor:innen die Bücher von bekannten und weniger bekannten Autoren.
“In der Schweiz gibt es – soweit ich weiss – nur eine Stelle bei einem Buchverlag, nämlich bei Diogenes. Sie schreiben zwar zusätzlich jedes Jahr ein Praktikum aus – dieses ist aber unbezahlt. Ansonsten handelt es sich wohl meistens um Freelance-Stellen.” Die Stellenknappheit lässt sich vor allem durch die Sprache begründen: Der deutsche Literaturbereich ist vorwiegend in Deutschland beheimatet, teilweise auch Österreich. Die kleine Hochpreisinsel Schweiz ist für Lektoratsarbeiten einfach zu teuer.

Den Traum, einmal als Buchlektorin zu arbeiten, hat Sarah deswegen ein wenig ad acta gelegt. Zwar schliesst sie nicht aus, einmal für einen professionellen Verlag zu arbeiten – doch für den Moment ist sie in ihrer Stelle sehr glücklich. Sie lebt schliesslich ihren Traum.

Was machen Lektor:innen nun aber genau?

“Einen typischen Arbeitstag gibt es nicht. Die einzige Gemeinsamkeit aller Tage ist, dass du stundenlang konzentriert einen Bildschirm anstarrst. In meiner Firma haben wir grundsätzlich nur eine wiederkehrende Arbeit: Die Reports.” Reports sind eine Art Geschäftsbericht, welche an die Kundschaft des Finanzdienstleistenden verschickt wird. Sie zeigen auf, wie die Finanzgeschäfte für die einzelnen Kund:innen gelaufen sind. Pro Quartal erhält die Kundschaft einen Report.
“Die Berater:innen tragen ihre Reports in einer Liste ein: Deadline, Sprache und Seitenzahl sind dort ersichtlich. Wir vom Lektorat arbeiten diese Liste gemeinsam ab.” Sarah zählt die Reports definitiv nicht bei ihren Lieblingsarbeiten auf: Die Reports sind immer sehr ähnlich gegliedert und aufgebaut. Reportingtexte machen ihr viel mehr Spass: Dies sind Berichte über Neuerungen und Änderungen aus dem Finanzbereich, welche an die Kundschaft versandt werden (eine Art Newsletter). All diese Texte werden vom Team korrigiert, lektoriert und übersetzt.

“Oft kommen Anfragen ans gemeinsame Teampostfach. Auch dort ist alles mit dabei: Offerten für Neukunden, spezifische Kundenpräsentationen oder auch Pressemitteilungen.” Letztere gefallen Sarah besonders: Sie sind zwar selten, bieten aber sehr viel Freiheit. Bei dem Gespräch über ihren Arbeitsinhalt merkt man Sarah an, wie glücklich sie in ihrem Beruf ist. Er ist aber auch herausfordernd.

Sprachgefühl als Grundlage

“Ohne natürliches Sprachgefühl ist man als Lektor:in verloren”, meint Sarah. Ausserdem enttäuscht sie vielleicht einige Menschen, welche noch davon träumen, Lektor:in zu werden, als sie sagt: “Sprache studieren ist ein Muss – sorry about that.”
Sie lacht und erklärt, wie es in ihrem Job zu und her geht: “Niemand aus meinem Team hat je für eine Sprachprüfung gelernt. Ganz oft wird diskutiert, welche Satz- oder Wortkonstellation denn wirklich stimmt. Besonders witzige Szenen ergibt dies am Mittagstisch, wenn nebenan die Kundenberater:innen über Aktienkurse und Obligationen diskutieren. Schlussendlich kann aber niemand von uns die finale Entscheidung wirklich begründen: Das liegt einfach am Sprachgefühl.” Grundsätzlich ist das Sprachgefühl damit zu vergleichen, ob jemand musikalisch ist oder nicht: Entweder man ist damit geboren – oder man ist es nicht. Man kann dem Sprachgefühl aber definitiv ein wenig auf die Sprünge helfen, in dem man seine Nase oft und auch gerne in gute Bücher steckt. Sarah hat dafür gleich zwei gute Tipps.

“Meine liebsten Autorinnen sind Patty Smith (e.g. M Train) und Robin Wall Kimmerer (e.g. Braiding Sweetgrass).” Patty Smith pflegt einen eher simplen, aber trotzdem sehr poetischen Schreibstil. Dieser wirkt aber nicht arrogant, sondern sehr natürlich. Wenn sie über Kaffee schreibt, riecht man den Kaffee (“Ond sii schriibt vöu öber Kafi”). Robin Wall Kimmerer ist ebenfalls sehr poetisch. Ihre Bücher handeln oft über das Wissen der US-Ureinwohner:innen, über Pflanzen und die Welt. Robins Werke gleichen einem Gedicht über Pflanzen, doch ihre Art, die einzelnen Geschichten miteinander zu verbinden, ist für Sarah enorm packend.
“Man fliesst regelrecht durch ihre Geschichten: Sie folgen stets einem roten Faden und alles passt so gut zusammen.” Sarahs Begeisterung für Sprache ist also längst nicht nur im geschäftlichen Umfeld spürbar.

Mit oder ohne ie

In ihrem Unternehmen sind die Lektor:innen jedoch die einzigen mit dieser Vorliebe. Sprache ist eher ein notwendiges Übel.
“Meist erhalten wir Aufträge im Sinne von ‘Ich halte noch eine Präsentation, könnt ihr diese bis am Freitag Korrektur lesen?’. Das ist zwar möglich, aber je länger wir Zeit haben, desto qualitativer sind auch unsere Verbesserungen.” Lektorieren ist nämlich nicht einfach simples Rotstift zücken und falsche Wörter markieren. Viele Leute kennen den Unterschied zwischen Korrektorat und Lektorat nicht einmal. Man kann es sich vereinfacht gesagt so merken: Im Korrektorat werden nur die Grammatik- und Rechtschreibregeln geprüft.

Ein:e Lektor:in hingegen achtet nicht nur auf Grammatik und Rechtschreibung, sondern auch auf Satzbau, Wortkombinationen oder Logiklöcher. Fakten und Tabellen eines Textes werden genauso unter die Lupe genommen wie Kommafehler.
“Durch unsere Arbeit wirken wir oft sehr böse und judgy. Und – naja – das sind wir auch”, gibt Sarah lachend zu. Sie amüsiert sich auch gerne über Fehler von anderen Leuten.
“Wir sind aber auch nicht allmächtig und machen selber Fehler. Die Leute denken jedoch, wir sind perfekt. Das stimmt nicht. Wir sehen zwar die Fehler von anderen, aber unsere eigenen manchmal nicht.” Da kommt es doch ab und zu vor, dass eine andere Abteilung während einer hitzigen Diskussion ins Lektorat anruft und Fragen stellt wie: “Schreibt man das mit oder ohne ie?” 

“Wenn mich jemand so unvorbereitet fragt, weiss ich das oft selber nicht. Im Zweifelsfall schreibe ich mir das Wort in allen Kombinationen auf und wähle jene, die am besten aussieht. Oder ich google.” Das enttäuscht ihre Arbeitskolleg:innen dann oft: Googeln hätten sie auch selber können.

Genitiv vs. Dativ

Das Klischee, dass Lektor:innen also allmächtige Grammatiknazis sind, die in jeder beliebigen Sprache jedes Wort buchstabieren können, stimmt so nicht. (Nur der Grammatiknazi-Teil. 😀). Einige Klischees treffen den Nagel aber auf den Kopf: Die Lektor:innen aus Sarahs Team sind alle introvertiert.
“Ausserdem ist die Teekultur sehr verbreitet, ich bin die einzige Kaffeesüchtige.” E-Mails wie: “Ui näi, da muessi mir jetzt doch no einisch en Grüentee mache!” wirken auf Koffeinabhängige vielleicht irritierend, gehören aber zum Daily-Lektorats-Business.

“Ja, wir sind diese Art von Menschen”, meint Sarah lachend, als sie von anderen Teamspezialitäten erzählt. Es ist nämlich auch die Wahrheit, dass es im Team eine Fraktion Genetiv und eine Fraktion Dativ gibt. Sarah gehört ersteren an. Auch privat ist Sarah tiefenentspannt: Falsche Wörter oder Satzstellungen bei (geschriebenem Hoch-)Deutsch sind für sie körperlich unangenehm. “Wie das Kratzen auf einer Wandtafel.” Umso besser für ihr Umfeld, dass Schweizerdeutsch weniger problematisch ist. Durch die beinahe inexistenten Regeln darf man in der Schweizer Sprache beinahe alles schreiben. Im Alltag braucht sie ihren Rotstift also selten. Ach ja – bevor wir diesen Teil vergessen!

Rot wie die Liebe: Der Stift

Es ist keine Lüge und kein Scherz, dass in Sarahs Team immer mit Rotstift korrigiert wird. Früher wurden sogar sämtliche Texte ausgedruckt und physisch korrigiert. Heute lässt sich weder der Papierverschleiss (zur Veranschaulichung: 300 Reports à ca. 80 Seiten pro Quartal) noch die Effizienz rechtfertigen. “Ich bin zwar ein Papier und Stift-Mensch all the way, aber ich sehe die Vorteile der digitalen Korrektur.” Durch zwei Surface PC’s findet das Lektorieren für die Festangestellten nur noch digital statt. Einzig die Studierenden schreiben noch auf Papier. 

“Wir korrigieren und verbessern die Texte, welche Änderungen die Autor:innen aber schlussendlich übernehmen, ist ihnen überlassen”, erklärt Sarah. Der Rotstift darf also auch wieder wegradiert werden – selbst wenn er mittlerweile digital eingesetzt wird. Er ist aber auch beinahe ein Running Gag.
“Bei uns erhält man als Abschiedsgeschenk einen Rotstift”, verrät uns Sarah schmunzelnd.

Ein ruhiger Beruf

Zusammenfassend kann man wohl sagen, dass Lektor:in ein ruhiger, unspektakulärer Beruf ist. “Es ist nicht so, wie ich es mir als Teenie vorgestellt habe. Trotzdem liebe ich meinen Job.” Um als Lektor:in zu bestehen ist es wichtig, sich weiterzubilden und Erfahrung zu sammeln. Sarah beginnt voraussichtlich im Sommer eine Weiterbildung an einer Privatschule. Der Titel Lektor:in ist in der Schweiz nämlich nicht geschützt, weshalb es keine staatliche Anerkennung oder Ausbildung gibt. Es ist definitiv eine harte Welt zwischen Wörtern, roter Farbe und Kommatas – aber auch eine schöne. Wer drin ist, will anscheinend eine Weile bleiben. Auch Sarah würde ihren Job nicht so schnell wieder hergeben. Sie lebt ihren Teenie-Traum – auch wenn er anders ist, als sie ursprünglich annahm.

Über Sarah

Was empfiehlst du jemandem, der eine:n Lektor:in auf der Strasse trifft?

Sprich uns an, wir sind schüchtern. 😉

Wenn du ein Lebensmittel wärst, welches und warum?

Ich wäre ein Keks. Man kann ihn in Kaffee ‚tünkle‘, er gibt dir Energie, weil er Zucker enthält und sonst – keine Ahnung. Kekse sind einfach super! 

Nächster Beitrag: 13.03.2021 – 18:00 Uhr

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