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Autor*in des Halbjahres – Christine Brand

Ein gutes Buch kann dich stundenlang fesseln. Und im besten Fall denkst du noch Tage später darüber nach. Die Figuren scheinen dir vertraut, die Geschichte ist in sich schlüssig und das Leseerlebnis war fantastisch. Du hast schon lange kein solches Buch mehr gelesen? Dann solltest du jetzt aufpassen!

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Beim Lesen gibt es für mich immer Hoch- und Tiefphasen. Einerseits gibt es Phasen, da verschlinge ich vier, fünf oder sogar mehr Bücher im Monat, nur um dann wieder drei Monate keine Seite zu lesen (an dieser Stelle sei mal gesagt: Danke für nichts, Studium! Hier ist nämlich die elendige Pflichtliteratur ausgenommen). Andererseits gibt es aber auch Phasen, da ist jedes Buch nur so “mäh” oder sogar schon nach 50. Seiten ein klares “Nein”. Und an anderen Tagen liest man vier oder fünf gute Bücher nacheinander! Falls ihr gerade in einer Tiefphase – weshalb auch immer steckt – so kann der heutige Beitrag vielleicht etwas bewirken.

Schweizer Krimikunst vom Feinsten

Eine Hochphase in der ersten Hälfte dieses Jahres hat die Autorin Christine Brand bei mir ausgelöst. An dieser Stelle sei Beat herzlich gedankt, der mir die drei Bücher der Autorin überhaupt ausgeliehen und so den Stein ins Rollen gebracht! Christine Brand ist ursprünglich Reporterin und Journalistin. Aus ihrer Zeit als Gerichtsreporterin hat sie viele spannende Geschichten im Gepäck. Ihre ersten Bücher (gem. Website) handelten um “Mordsgeschichten” aus dem Emmental, wo Christine Brand geboren wurde. Alle ihre frühen Bücher sind Anthologien (=Sammlung von ausgewählten Werken) und basieren auf wahren Tatsachen oder handeln von wahren Kriminalfällen aus dem Emmental. Brand’s letztes Buch erschien 2021 – und um genau dieses (und seine Verwandten) soll es jetzt gehen.

Die Reihe

Die Reihe besteht aus drei Büchern – so glaube ich zumindest. Bei meiner Recherche zu diesem Artikel sind mir auf der Website von Christine Brand drei weitere Bücher aufgefallen, die sich ebenfalls um die Figur Milla Nova drehen. Es sind dies “Das Geheimnis der Söhne”, “Kalte Seelen” und “Stiller Hass”. Der letzte Band erschien jedoch rund 4 Jahre vor dem Auftaktroman “Blind” beim Landverlag, während die neue Reihe bei Blanvalet erschienen ist. Es werden immer wieder Anspielungen gemacht, das habe ich jedoch relativ lange nicht kapiert und erst, als ich die drei Bücher gesehen habe, ging mir ein Licht auf. Das heisst, vielleicht gibt es noch mehr Lesespass rund um Milla Nova, den ich noch gar nicht kenne. 

Warum rede ich also weiterhin nur von 3 Büchern? Weil ich es kann und weil ich entschieden habe, dass die ersten drei Büchern sozusagen die “kleinen Schwestern” der Hauptreihe sind. (Ich, als Bloggerin (Hallo alli die wo d Coldmirror-Aspielig cheggt hend! :D)).

Cover Blind
© christinebrand.ch

Blind

Der Auftakt. Ich lasse euch einfach mal den Klappentext* da:

Seine Welt ist dunkel. Er ist blind. Doch er hat ihren Schrei gehört – und seine Sinne haben ihn noch nie getäuscht ….
Nathaniel hört einen Schrei, dann bricht die Verbindung ab. Gerade noch telefonierte er mit einer Frau. Eine anonyme App verband die beiden, die Frau half Nathaniel dabei, das richtige Hemd zu wählen. Denn Nathaniel ist blind, doch der Schrei klang eindeutig. Was, wenn der Frau etwas angetan wurde? Er ist sich sicher: Es muss ein Verbrechen sein. Doch keiner glaubt ihm, es gibt keine Beweise, keine Spur. Gemeinsam mit einer Freundin, der Journalistin Milla, macht sich Nathaniel selbst auf die Suche nach der Wahrheit. Er ahnt nicht, dass er für die fremde Frau die einzige Chance sein könnte – oder ihr Untergang …

Vor diesem Buch hatte ich noch nie eines gelesen, welches einen blinden Protagonisten beinhaltet (oder ich kann mich nicht mehr daran erinnern…was irgendwie auch für das Buch spricht). Christine Brand hat sich für die Figur von einem Freund von ihr inspirieren lassen. Man merkt, sie sich mit dem Thema Sehbehinderung auseinander gesetzt hat. Die App, welche im Zentrum der Geschichte steht, gibt es wirklich. Sie nennt sich “Be My Eyes”**. Ich habe zum ersten Mal von dieser App gehört und war mir bis anhin auch nicht bewusst, dass eine solche App für einige Menschen wirklich eine grosse Hilfe darstellen kann. Aber das dürft ihr gerne selber nachlesen.

Cover Die Patientin
© christinebrand.ch

Die Patientin

Ich würde euch gerne den Klappentext vom zweiten Band “Die Patientin” zeigen, aber der stellt sozusagen einen Spoiler für Band eins dar, denn er knüpft “nahtlos” an. Die Geschichte spielt zwar vier Jahre später, baut aber stark auf den Ereignissen von Blind auf.

Deswegen möchte ich auf Buch 2 (für mich auch der ‘schlechteste’ Band der Reihe) nicht allzu sehr eingehen. Ich werde weiter unten noch einmal darauf zurückkommen.

Cover Der Bruder
© christinebrand.ch

Der Bruder

Der dritte und bisher letzte Band “Der Bruder” baut zwar auch auf den Ereignissen auf, nimmt aber in eine andere Richtung Fahrt auf. Deswegen hier der Klappentext*:

Irena Jundts Vater ist tot. Um das Elternhaus zu räumen, muss die Rechtsmedizinerin der Berner Kripo zurück in das abgelegene Bergdorf ihrer Kindheit. Eine Kindheit, die mit dem Verschwinden ihres Bruders abrupt endete. Damals wurde ein brutaler Kindermörder für Benis Tod verurteilt. Doch bei ihrer Rückkehr erkennt Irena, dass irgendetwas an der Geschichte nicht stimmt, und die Dorfbewohner etwas verbergen. Wenig später wird in Bern ein kleiner Junge vermisst gemeldet – Sandro Bandini, Chef der Abteilung Leib und Leben bei der Berner Polizei, beginnt mit Hochdruck zu ermitteln und auch seine Freundin, Journalistin Milla, versucht mit gewohnt unkonventionellen Mitteln die Spur des Kindes zu verfolgen. Noch ahnt niemand, welche Kreise der Fall ziehen wird – und dass die Vergangenheit noch immer dunkle Schatten in die Gegenwart wirft …

Das Besondere an Band drei – und auch darauf werde ich noch einmal zurückkommen – ist die Verflechtung mit wahren Ereignissen und Geschichten. Das ist sowieso eine Stärke von Christine Brand. Aber jetzt: Bühne frei für meine absolut professionelle Buchkritik.

Buchreview

Blind ist ein Auftaktroman, der nicht viel zu wünschen übrig lässt. Die Geschichte ist spannend und neu, die Figuren und besonders deren Metiers wirken gut fundiert und recherchiert. Die App Be My Eyes bringt den nötigen Twist und auch gleich das grösste Hindernis (neben der Sehbehinderung von Nathaniel) mit in die Story. Das Buch liest sich in einem Zug. Zwar ohne sehr grosse Spannungshighlights oder völlig unerwarteten Plottwists, aber mit einer guten Grundspannung und einer flüssigen Storyline. Fans von ständigen Turns und überraschenden neuen Erkenntnissen sowie reisserischen Subplots werden bei Blind wohl nicht fündig. Wer aber ein gutes Buch für ruhige Abende sucht, findet hier Krimikleinkunst! Band zwei knüpft wie schon erwähnt am ersten Band an. Die Story scheint hier bereits etwas ‘weiter hergeholt’ als noch in Band eins, wir tauchen tiefer in die Medizin und Wissenschaft ein, lernen aber gleichzeitig die Figuren noch besser und tiefer kennen. Auch Band zwei überzeugt – nur nicht ganz so gut wie Band eins.

Und dann – be prepared – kam dieses Jahr der neue Hit. Der Bruder. Irena Jundt steht dieses Mal mitten im Geschehen. Bisher war die Rechtsmedizinerin eher eine hilfreiche und teilweise etwas seltsame Nebenfigur. Jetzt wird sie aber voll in die Geschichte geworfen und entwickelt sich schnell zur Figur mit dem meisten Tiefgang. Die Story dreht sich um vermisste und ermordete Kinder. Das Thema ist bewusst gewählt: Christine Brand macht bereits auf den ersten Seiten auf die unzähligen ungelösten Verbrechen an Kindern aufmerksam. Und die stammen alle aus der Schweiz. Man merkt, dass die Autorin weiss wovon sie spricht – und vielleicht ist das Buch deswegen so gelungen. Auch im dritten Band fehlen unerwartete (und teils unrealistische *hüstel*) Wendungen wie vielleicht Fans von Sebastian Fitzek sie kennen. Stattdessen surft dieses Buch auf der Spannungswelle ständig mit, hat geschickte Szenenwechsel und einige moralische Fragen zu bieten. Figurendilemmas, die besonders im zweiten Band zum ersten Mal aufkamen, steigern sich im dritten Band in ihre Höhepunkte. Das sehen wir uns weiter unten etwas genauer an.

Was ausserdem gefällt, ist die Art, wie Christine Brand verschiedene Handlungsstränge miteinander verknüpft und teilweise auch wieder auseinander führt. Obwohl man als Leser natürlich schnell weiss, dass verschiedene Subplots miteinander zu tun haben werden, scheint es vorerst noch etwas unmöglich, diese zu vereinen. Christine Brand gelingt dies aber mit leichter Hand und teilweise realisiert man erst später, dass sich die Subplots jetzt bereits zum neuen Hauptplot geformt haben – oder bereits wieder in unterschiedliche Richtungen hinfort ziehen. Das hält bei Laune und ist eine grosse Stärke der Bücher.

Die Autorin Christine Brand
© christinebrand

Die Figuren

In Band eins ist wie erwähnt der blinde Nathaniel der Protagonist. Über ihn haben wir bereits gesprochen. Während er im ersten Buch noch etwas Charaktertiefe erhält, wird dies in den weiteren Bänden immer weniger. Als zweite Protagonistin (und eigentlich wohl auch die allgemeine Hauptprotagonistin) tauchte die Reporterin Milla Nova auf. Während Milla im ersten Band zwar bereits einiges an Tiefe erhält, wird ihr Leben und ihre Art besonders im zweiten und dritten Band noch etwas genauer unter die Lupe genommen. Was an ihr besonders gefällt ist, dass sie sich über ihre schlechten Eigenschaften sehr wohl bewusst ist, aber trotzdem nicht dagegen ankämpfen kann. Das gibt ihr genau die richtige Portion Realismus und Vertrautheit, die man als Leser braucht. Sandro – Millas Freund – wird auch erst in den späteren Bänden besser gezeichnet. Auch er stürzt plötzlich in moralische Abgründe. Was besonders an dem Duo gefällt? Es ist keine klassische Romanze! Milla und Sandro schweben mal auf Wolke 7, dann  stehen sie wieder zuunterst. Sie streiten, sie lieben. Sie machen sich Gedanken über ihre Beziehung. Sie fragen – suchen – nach dem Sinn. Als Leser ist dies eine erfrischende Abwechslung. Meistens sind Beziehungen entweder bereits weitestgehend zerstört oder nahezu perfekt, was beides irgendwann keine Spannung mehr zu bieten hat. Dass sie keines und gleichzeitig beide Klischees bedienen, machen Milla und Sandro so wunderbare Figuren.

Die drei sind natürlich nicht die einzigen der unzähligen Figuren. Doch die Zeit (und meine Motivation) reicht nicht, um alle genauer unter die Lupe zu nehmen. Was bei Christine Brand auffällt ist, dass bei ihr die Charaktertiefe allgemein nicht die höchste Priorität darstellt. Alle Figuren haben ihre Stärken, Schwächen und Wiedererkennungsmerkmale. Sie sind durchdacht, handeln ihrem Charakter nach und passen gut. Doch wer perfekt gezeichnete Figuren mit Tiefe sucht, wird hier wahrscheinlich nicht genug fündig. Stattdessen stellen die Figuren eher einen Teil des grossen Puzzles dar. Die anderen wichtigen Puzzlesteine sind die vertraute und echte Umgebung (Bern, Zürich, usw.) und – jetzt kommt es – die wahren Begebenheiten. Das stellt wohl das Kernstück und gleichzeitig das Mittel zum Erfolg von Christine Brands Bücher dar. Mal mehr, mal weniger bedient sie sich aus ihrem eigenen Erfahrungsschatz und verknüpft geschickt die Realität mit der Fiktion. Besonders die Berufe bei der Polizei und beim Fernsehen wirken real. Man zweifelt selten daran, dass eine der Figuren nicht auch im echten Leben so arbeiten würde (und wenn, dann weiss man, dass die Geschichten im realen Leben auch nicht immer so spannend sind ;-D). Diese Grundlage macht die teils fehlende Figurentiefe in null komma nichts weg und macht die Bücher  absolut empfehlenswert.

Die Autorin Christine Brand
© christinebrand

Der Schreibstil

Christine Brand schreibt verständlich und eher leicht. Sie wirft weder mit Schachtelsätzen noch unzähligen Fremdwörtern um sich. Das führt zu einem sehr angenehmen Lesefluss, besonders weil die Grundspannung sich dadurch gut durch das ganze Buch ziehen kann. Für mich sind die flüssigen Figurenwechsel Christine Brand’s grosses Merkmal. Teilweise passieren diese mitten im Kapitel und nicht, wie oft gesehen, pro Kapitel. Sätze wie “Zur gleichen Zeit als ‘Figur A’ eine Zigarette raucht, setzt sich ‘Figur B’ hin” kommen oft vor. Einfach so hört sich das jetzt relativ … brachial an, im Buch kann man sich durch diesen Stil wunderbar durch die Geschichte schlängeln. Während einige Leserstimmen auf Goodreads oder Lovelybooks genau dies bemängeln (sinngemässes Zitat: “Ich wusste dann nie, bei welcher Figur wir eigentlich sind”), macht es die Geschichte für mich spannender, da man teilweise noch gar nicht mit einem Wechsel gerechnet hat und jetzt “länger” auf die Auflösung warten muss. Denn man hat das Kapitelende nicht kommen sehen, wie dies bei Sichtwechseln ausschliesslich pro Kapitel der Fall wäre. Der Schreibstil ist jedoch immer in der dritten Person gehalten und so können wir teilweise auch in zwei Figuren gleichzeitig hineinsehen.

Fazit: Christine Brand schreibt angenehm, flüssig und eben auch etwas anders.

Und jetzt? Schlussfazit!

Ich denke, man hat es schon gemerkt. Ich bin grosser Fan der Bücher und habe jetzt versucht, nicht einfach nur einen Blogartikel im Stil von “very good, must read, go buy!!” zu schreiben, sondern auch differenzierte Meinungen wiederzugeben. Ich empfehle die Buchreihe jedem, der gerne Krimis liest! Ausser, man will einen ‘Pageturner’, bei dem jede Seite einen Cliffhanger darstellt. Dann ist die Milla-Nova-Reihe eventuell doch die falsche Adresse. Für gut recherchierte Stories mit soliden Plots und passenden Endungen kann man aber vorbehaltlos zu Blind, Der Patientin oder Der Bruder greifen. 

Und wenn ihr die Bücher gelesen habt, lasst mich ruhig wissen, ob ihr auch begeistert seit oder ob ihr mit meiner Meinung gar nicht übereinstimmt! Ich freue mich darauf.

Quellen:
*christinebrand.ch
**bemyeyes.com

Alle Bilder dürfen mit freundlicher Genehmigung von Christine Brand verwendet werden. Danke!

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