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Zwischen Kühen die Krater – Reiseblog #03

Vietnamkrieg? Von dem hat jede*r schon einmal gehört. Doch nicht nur die USA und der Vietnam waren darin verwickelt. Auch die Länder rund um den Krisenherd litten unter dem Krieg. Wie sehr, wurde mir erst in Laos bewusst.

T/W: Bilder von Munition u.Ä.

17. März 2019

Es gibt Tage, da kommt alles anders als man sich gedacht hat. Auf meinem Programm stand die berühmte Tonkrugebene, gesehen habe ich schlussendlich eines der schönsten Wats und zwei Kriegsdenkmale. Dieser Beitrag fällt deswegen auch ein wenig ernster aus als seine Vorreiter (also viel). Reist man hier herum, kommt man nicht an der absolut traurigen Geschichte des Landes vorbei (und das ist auch gut so). In der kurzen Zeit hier habe ich schon so viel über den Vietnamkrieg gehört, gelesen und mittlerweile auch gesehen, dass mich der Spaziergang heute immer noch schaudern lässt.

Der langweilige Teil zuerst, nämlich der Grund, weshalb ich bereits heute über den Krieg berichten werde. Heute Morgen stand mir in keinster Weise der Sinn nach einer Tour in einem Bus (ein Tag Minivan und ein weiterer in baldiger Aussicht ist genug), nach Touristen oder nach einem ersten Rollerabenteuer. Deshalb verstrich der Morgen in laotischer Gelassenheit mit ausgiebigen Frühstück, lesen und die Beine ein wenig ausstrecken. Gegen Mittag habe ich dann doch die Rollermöglichkeiten kurz abgeklappert, aber die einzigen Modelle, die ich mir zutrauen würde, waren bereits vermietet (selber Schuld). Aus reinem Interesse habe ich gegoogelt, wie lange man zu den Tonkrüge hätte, wenn man ganz klassisch zu Fuss ginge. 2h laut Google, 2.5h laut maps.me. Einer Eingebung folgend bin ich genau zur heißesten Zeit des Tages aufgebrochen, wohl wissend, dass ich die Krüge heute nicht sehen würde. Aber manchmal läuft man eben einfach der Nase lang. Nach etwa 30 Minuten gehen, gucken, grüßen und Lächeln zeigte maps.me zu linker Hand zwei Memorials an: das Lao War und das Vietnam War Memorial. Ohne Zögern bin ich dem neuen Weg gefolgt.

Im Gebiet rund um die Memorials wurde ich reichlich schräg angeschaut. Westlich, mit Strohut und Rucksack und ganz allein: die Blicke lassen mich vermuten, dass nicht viele Touristen diesen Teil von Phonsavan aufsuchen.
Auf den Weg zum ersten Memorial bin ich wortwörtlich überein traumhaftes Wat* gestolpert. (*buddhistischer Tempel.) Ja man fällt schon mal über Mauerreste, wenn man lieber Kühe beobachtet… Aber es ist nichts passiert, ich bin nicht hingefallen! *stolz* Nur ein vorbei rauschender Laote hat’s gesehen, der fand sein Handy dann aber doch spannender, als eine tollpatschig Touristin mit Strohhut. 
Mit Wats in allen Größen und Formen ist man nach Luang Prabang reichlich vertraut. Aber das Wat Yon gehört doch mit zu den schönsten. Vor lauter Gaffen hab ich nicht mal ein Foto geknipst.

Anschliessend gings dann durch ein staubiges Quartier hoch zum Lao War Memorial. Es liegt verlassen auf einem kleinen Hügel, von dem man einen guten Blick über Phonsavan und die umliegenden Berge hat. Das quadratische Grundstück war abgezaunt und verschlossen, Fotos nur von aussen möglich. Am Hügel selber liegen wie zur Bestätigung einige Bombenkrater verstreut. Eine seltsame Stimmung. (Das Memorial ist auf dem Titelbild ersichtlich).

Bombenkrater am Hügel

Zum Vietnam War Memorial führte eine Strasse über offene Landschaft. Rechts der Lao War Hügel, links die offene Landschaft. Einige staubige Wege führen zwischen Bombenkrater und abgebrannten Felder zu den umliegenden Quartieren. Ich stelle mir kurz den Motorenlärm der US Air Force Flugzeuge vor, dann sehe ich vor mir eine Bombe auf die Ebene fallen. Ich schlucke, verbanne die Bilder aus meinem Kopf und laufe zum zweiten Memorial.

Auch hier ist es still. Ein Laote fegt den Weg, doch als er mich sieht, verschwindet er im Haus. Auch dieses Memorial ist eingezäunt und abgeschlossen. Ich knipse einige Fotos und trete den Rückweg an. Auch hier ist die Stimmung seltsam. Ich frage mich, ob es Öffnungszeiten gibt, finde aber im Internet fast gar nichts über die Memorials. Alles ein wenig kurios.

cof
Vietnam War Memorial

Auf dem Rückweg sehe ich mir erneut die vielen Bombenkrater an und entscheide mich für einen Besuch im UXO Center in Phonsavan. Es ist klein, der Mann beim Eingang unfreundlich. Die versprochenen Filme laufen gar nicht. Aber der reading room ist offen und ich blättere fast 45 Minuten in einem Buch, in dem Überlebende Geschichten aus den Höhlen in Vieng Xai erzählen. Dort haben sich zu Kriegszeiten Tausende von Menschen in rund 200 Höhlen versteckt. Es war das Hauptquartier der Pathet-Lao. Die Geschichten machen mich traurig, wecken Bewunderung oder schockieren einfach nur. Für dieses Buch hat sich der Zwischenstopp gelohnt.

Viel besser war das UXO Visitor Center in Luang Prabang. UXO steht für unexploded ordnance, sprich jegliches Kriegsgeschütz, dass nicht explodiert ist. Die Sammlung der verschiedenen Kriegsmunitionen im UXO Visitor Center macht mich sprachlos. Auch diese Ausstellung ist klein, aber sie geht in Mark und Bein. Meiner Meinung nach ein Muss-Stopp für alle Luang Prabang Besucher.

Von dort, vom Reiseführer und von Google habe ich so viele neue Fakten und Zahlen gehört, dass mir der Kopf davon brummt. Je länger man darüber nachdenkt, desto trauriger wird es…

Laos ist das am meisten bombardierte Land der Welt (Bombe-pro-Kopf-Index). Es fielen hier mehr Bomben als im gesamten zweiten Weltkrieg. Die häufigste Art waren die sogenannten Cluster-Bomben. Eine Cluster-Bombe ist eine grosse Bombe, die viele kleine Bomben (genannt Bombies) beinhaltet (auf dem Bild sind rund 680 Bombies in einer Cluster-Bombe).

Cluster-Bombe (UXO Center)

Bomben wie diese auf dem Bild decken Flächen von zwei bis drei Fussballfelder ab. Über Laos wurden Bomben mit bis zu 4’800 Bombies abgeworfen- insgesamt sind das ca. 270 Millionen Bombies. Davon sind geschätzt 30% (also 80 Millionen) nicht explodiert. Diese Bomben stellen eine riesige Gefahr für die Bevölkerung dar, vor allem in stark betroffenen Gegenden wie z.B. Phonsavan, wo immer noch jährlich rund 50 Leute wegen UXO Unfällen sterben oder sich schwer verletzen. Das muss man mal verinnerlichen: Fast täglich verunfallt in diesem Land jemand wegen den Überresten eines vor 44 Jahren geführten Krieges. 60% der Unfälle enden tödlich, in 40% sind Kinder betroffen. Die Bauern können ihr Land nicht richtig bewirtschaften, Kinder haben gefährliche Schulwege (und Spielplätze) und ein Feuer zu entfachen endet schnell tödlich.

Bombies (UXO Center)

Dies ist auch mitverantwortlich für die schlechte wirtschaftliche Entwicklung. Die am stärksten bombardierte Distrikte sind auch gleichzeitig die ärmsten. Dies vor allem, weil die vorhandenen Flächen nicht für die Landwirtschaft oder sonstiges genutzt werden können. Auch die kontaminierten Gebiete sind nie ganz sicher, weil während der Regenzeit auch vorher sehr tief liegende Bomben an die Oberfläche transportiert werden können.

Für die Ausmaße des Bombardement gibt es so viele verschiedene Beispiele, dass man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. 270 Millionen Bombies. 2 Millionen Tonnen an Bomben. 20 Tonnen Bombe pro Quadratkilometer. Zwei Tonnen Bombe pro Einwohner. Ein Artillerieeinsatz alle 8 Minuten, 24 Stunden lang, über neun Jahre hinweg.

cof
Bombardement-Karte, Einsätze in Rot (UXO Center)

Die UXO Organisationen und die MAG (Mines Advisory Group) säubern das Land von Bomben – nicht ohne Risiko. Jederzeit könnte während der Entschärfung eine Bombe explodieren und alles im Radius von 30 Metern mitreissen. Von 1996 – 2007 wurden ca. 395’000 Bombies entschärft – also nur etwa 0.5% von allen nicht explodierten Bombies. Mittlerweile wird das Land jährlich von rund 65’000 Bombies befreit. Laut Hochrechnungen dauert es noch mindestens 100 Jahre, bis das Land von diesen Streubomben befreit ist.

All diese Fakten fangen irgendwann an, im Kopf herum zu schwirren (bei mir zumindest). Dabei ist nicht ausser Acht zu lassen, das Laos sich faktisch mit keinem Land in Krieg befand. Einer der wichtigsten Gründe für die heftige Bombardierung im Secret War ist der Ho Chi Minh Pfad, durch welchen der Süden Vietnams mit Waffen versorgt wurde. Man sieht den Pfad alles in allem auch ganz gut auf dem Bombardierungs-Karte: er ist nämlich tiefrot.

Kriegsüberreste (UXO Center)

Ich hoffe, dieser Beitrag regt den ein oder anderen auch ein wenig zum Nachdenken an. Auch wenn er länger geraten ist: all diese schauderhaften Details mussten meiner Meinung nach Platz finden, damit einem das ganze Ausmaß bewusst wird. Sicherlich könnte man über die Thematik auch ein ganzes Buch schreiben. Das haben auch schon mehrere getan.

Kriegsüberreste (UXO Center)

Abschliessen möchte ich den Beitrag mit dem Kommentar, dass die Laoten zumindest insofern Überlebenskünstler sind, indem sie die ungewollten Überbleibsel für dich nutzen. Aus alten Bomben werden Grillstellen gemacht, aus Bombies Kunst. Das ist typisch laotisch!

Und dann bleibt nur noch etwas Hipster zu sagen: make love, not war.

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